Bertelsmann, 1967. — 183 S. — (Schätze der Weltkunst).
»Klassisch« ist ein Wort mit vielen Bedeutungen. Im allgemeinen
Sprachgebrauch meint es, grob gesprochen, Griechenland
und Rom - im weitesten Sinne. Aber wenn wir
von «klassischer« Kunst sprechen, dann verstehen wir darunter
viel mehr als die künstlerische Äußerung der Griechen
und Römer. Wir umreißen damit zugleich ein Ideal.
Die Griechen des 5. Jahrhunderts glaubten, daß das höchste
Streben des Geistes sich ausdrücken lasse in einer Vollkommenheit
menschlicher Lebensform, gegründet auf
Harmonie und Proportion; sie glaubten, daß vollkommene
Menschlichkeit die Vollkommenheit einer universalen
Ordnung in sich schließe. Der klassische Geist und die
klassische Tradition in der Kunst lebten so lange, wie etwas
von diesem Ideal, diesem fundamentalen Glauben an die
Menschlichkeit Quell der Inspiration blieb; und jede
folgende klassische Wiedergeburt hatte die Tendenz, das
wiederzuerlangen.
Dieses Buch beschäftigt sich mit einem sehr großen Zeitraum:
3000 Jahre, vom 3. Jahrtausend v. Chr. bis zum
4. Jahrhundert n. Chr. Sein Thema sind Ursprung und
Entwicklung der griechischen Kunst und die Verbreitung
der griechischen Überlieferung. Jeder Abschnitt dieser
langen Zeit leistet seinen eigenen Beitrag. Natürlich gibt es
Epochen, in denen der schöpferische Antrieb besonders
stark war. Aber vom Standpunkt der westlichen Kunst und
nicht weniger der westlichen Kultur ist die gesamte Entwicklung
der klassischen Tradition von Anbeginn bis in
die spätrömische Zeit für uns von wesentlicher Bedeutung.
Das Buch endet mit dem 4. Jahrhundert n. Chr., nicht weil
die klassische Tradition tot war, sondern weil das Christentum,
während es fortfuhr, sich aus heidnisch-künstlerischen
Überlieferungen zu inspirieren, grundsätzlich andere
Vorstellungen von Wahrheit und Schönheit in die Kunst
einführte.